Mikrobiom – Konzeption einer Unterrichtseinheit für den Biologieunterricht der Sekundarstufe I

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Mikrobiom zu einem zentralen Forschungsfeld in vielen Wissenschaften und Disziplinen entwickelt. Das zunehmende Wissen über das Mikrobiom, insbesondere über seine Rolle für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen.....

5/10/20244 min read

Einführung
Definitionen und Abgrenzung des Begriffs Mikrobiota vom Mikrobiom

Mikrobiota und Mikrobiom sind Schlüsselbegriffe in der Mikrobiologie und Ökologie, deren Verwendung im populärwissenschaftlichen Kontext oft synonym erfolgt (vgl. Bischoff 2017, S. 85; Dominguez-Bello et al. 2019, S.1108). Obwohl sie eng miteinander verbunden sind, beschreiben sie unterschiedliche Aspekte. Der Begriff Mikrobiota bezieht sich auf die Gesamtheit der Mikroorganismen (vgl. Bischoff 2017, S. 85). Sie erstreckt sich über verschiedene Reichen, einschließlich der Prokaryoten und Eukaryoten (Berg et al. 2020, S. 4ff.; Dupré & O'Malley 2009, S. 3ff.). Diese mikrobiellen Gemeinschaften sind ubiquitär und besiedeln somit verschiedenste Lebensräume und beeinflussen die Gesundheit des Wirts sowie die ökologische Stabilität und Produktivität ihrer Habitate (vgl. Fuchs 2022, S. 26; Berg et al. 2020, S. 5). Im Gegensatz dazu geht das Konzept des Mikrobioms über die Auflistung von Mikroorganismen hinaus. Für das Mikrobiom gibt es keinen Konsens für eine allgemeingültige Definition (vgl. Berg et al. 2020, S. 1ff.; Marchesi et al. 2015, S. 1; Schulze 2014, S. 5). Der Begriff Mikrobiom, wie er ursprünglich bereits 1988 postuliert wurde von Whipps, Lewis und Cooke ist definiert als:

„a charecteristic microbial community occupying a reasonably well defined habitat which has distinct physico-chemical properties. The term thus not only refers to the microorganism involved but also encompasses their theater of activity“ (Whipps 1988, S. 176).

Diese Definition stellt einen Fortschritt im Vergleich zur herkömmlichen Definition einer mikrobiellen Gemeinschaft, indem sie nicht nur die Mikroorganismen, die Mikrobiota, umfasst,

sondern auch ihre spezifischen Eigenschaften, Funktionen und Wechselwirkungen mit ihrer Umwelt definiert. Dies trägt zur Entstehung ökologischer Nischen bei (vgl. Whipps 1988, S. 176). Lederberg und McCray (2001, S. 2) erweitern diese Perspektive, indem sie das Mikrobiom als eine ökologische Gemeinschaft von kommensalen, symbiontischen und pathogenen Mikroorganismen beschreiben. Marchesi und Ravel (2015, S. 1 f.) beziehen aufgrund der Mikrobiomforschung sich auf die genetischen Aspekte. Dabei wird das Mikrobiom als Gesamtheit der Genome und Genexpressionsmuster in einer gegebenen Umgebung und ihren vorherrschenden biotischen und abiotischen Bedingungen definiert (vgl. ebd.). Alle diese Ansätze legen nahe, dass das Mikrobiom ein dynamisches, interaktives Mikroökosytem ist, dass sich in Zeit und Umfang verändern kann. Es ist in Makroökosysteme des Wirts integriert und ist für die Funktion und Gesundheit entscheidend (vgl. Berg et al. 2020, S. 17). Daher werden alle mikrobiellen Gene in einem definierten Habitat darunter auch Phagen, Viren und extrazelluläre DNA, die nicht direkt zur Mikrobiota gehören, unter dem Begriff Mikrobiom subsumiert (ebd., S. 5). Dies unterstreicht die Bedeutung der genetischen Informationen und metabolischen Prozesse, die für ein umfassendes Verständnis der funktionalen Kapazität und Dynamik mikrobieller Gemeinschaften unerlässlich sind. Diese feine Unterscheidung zwischen Mikrobiota und Mikrobiom ermöglicht es, die Komplexität und das Ausmaß mikrobieller Interaktionen sowie ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt tiefgreifend zu erforschen und zu verstehen.

Historische Entwicklung und Paradigmenwechsel

Die Erforschung der Mikroorganismen und ihres Ökosystems hat eine weitreichende Entwicklungsgeschichte. Diese ist eng mit dem Fortschritt wissenschaftlicher Methoden und dem wachsenden Verständnis der lebenswichtigen Rollen von Mikroben verbunden. Ihre Vielfalt ist bis heute nicht vollständig erforscht (vgl. Fuchs 2022, S. 26). Um die Bedeutung der Mikrobiomforschung zu verstehen, ist es unerlässlich, diese historische Entwicklung zu berücksichtigen.

Die Mikrobiomforschung hat seinen Ursprung in der Mikrobiologie und begann bereits im siebzehnten Jahrhundert. Die Entwicklung der ersten Mikroskope ermöglichte die Entdeckung einer neuen, unbekannten Welt und führte zur Identifizierung von Mikroorganismen (vgl. Fuchs 2022, S. 26f.; Berg et al. 2020, S. 3). Antonie van Leeuwenhoek (1632–1723) untersuchte diverse Bakterien verschiedener Formen mithilfe eines einfachen Mikroskops, die er als

„Tierchen“ bezeichnete. Außerdem entdeckte er Biofilme als erstes Anzeichen für Mikroorganismen, die innerhalb komplexer Gemeinschaften interagieren (vgl. Fuchs 2022, S. 26 f.; Berg et al. 2020, S. 3). Im klassischen Zeitalter der Mikrobiologie, das von den 1860er bis zu den 1910er Jahren reichte, fokussierte sich die Forschung vorrangig auf die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, die historisch die menschlichen Populationen beeinträchtigten (vgl. Berg et al. 2020, S. 3; Fuchs 2022, S. 26). Louis Pasteur (1822–1895) leistete wesentliche Beiträge zur Impfung gegen Ansteckungskrankheiten (vgl. Fuchs 2022, S. 28). Robert Koch (1843–1910) hat erkannt, dass für Infektionskrankheiten, wie Milzbrand, Tuberkulose und Cholera jeweils durch ein bestimmtes Bakterium verantwortlich ist (vgl. Fuchs 2022, S. 28, Hörsch 2022, S. 28, Berg et al. 2020, S. 3). Diese Erkenntnisse lenkten den Blick der Forschung

und der Öffentlichkeit auf die Rolle von Mikroorganismen als Krankheitserreger, die es zu beseitigen galt (vgl. Berg et al. 2020, S. 3, Hörsch 2022, S. 28). Die Mikrobiologie hat wesentlich zum Wohle der Menschheit beigetragen, indem sie die Krankheitserreger erkannte, geeignete Hygienemaßnahmen erarbeitete, Impfungen entwickelte und Antibiotika entdeckte mithilfe der Kultuvierung. (vgl. Fuchs, 2022, S. 26). Ludwik Hirszfeld (1884-1954) hingegen postulierte Krankheitserreger als Übergang zur Koevolution in Richtung Symbiose (vgl. Hörsch 2022, S. 28). Die umfassenden Forschungen der letzten Jahrzehnte zeigten, dass die Vorstellung vom ausschließlich krankheitserregenden Mikroorganismus und dem mikrobenfreien Menschen nicht stimmen. Denn nur ein kleiner Teil der Mikroorganismen wird mit Krankheiten oder Pathogenität in Verbindung gebracht (vgl. Hörsch 2022, S. 28, Berg et al. 2020, S. 3). Dieser Paradigmenwechsel hat die Sichtweise auf Mikroorganismen grundlegend verändert (vgl. Berg et al. 2020, S. 3). Es wurde erkannt, dass die überwiegende Mehrheit der Mikroben essenziell für das Funktionieren von Ökosystemen ist und symbiotische Beziehungen mit ihren Wirten eingeht, die entscheidend für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Körperfunktionen sind. (vgl. Fuchs, 2022, S. 26). Dieses erweiterte Verständnis unterstreicht die Komplexität der Interaktionen zwischen Wirt und Mikrobiom und die zentrale Rolle der Mikroben in der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie in der ökologischen Stabilität und Produktivität ihrer Lebensräume (vgl. Hörsch 2022, S. 28). Diese historische Perspektive bietet einen Rahmen für das Verständnis der heutigen Mikrobiomforschung und ihrer potenziellen Auswirkungen auf zukünftige wissenschaftliche, medizinische und ökologische Entwicklungen.